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Best PracticeFlächendesinfektion

„Ich hätte am liebsten sofort überall auf Einmal-Tuchsysteme umgestellt“

Im Uniklinikum Heidelberg tauchen plötzlich Befunde von Achromobacter xylosoxidans in Blutproben von Patient:innen auf. Wie kommt dieser Umweltkeim dort hinein? Was danach folgt, liest sich wie ein Krimi. Prof. Dr. Frank Günther, Leiter der Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Marburg, leitete damals die Suche nach der Infektionsquelle und hat den Fall 2016 in BMC Infectious Diseases publiziert. Der "Täter": kontaminierte wiederaufbereitbare Tuchspender. Seitdem ist Günther ein Fürsprecher von Einweg-Tuchspendersystemen, vor allem in Risikobereichen.

In Ihrer 2016 erschienenen Publikation „Pseudobacteremia outbreak of biofilm-forming Achromobacter xylosoxidans – environmental transmission“ beschreiben Sie eine plötzliche und signifikante Häufung dieses Erregers in Blutkulturen von Patienten. Welches Bild hat sich Ihnen da gezeigt?

Prof. Frank Günther: Bei einem der täglichen Treffen des Krankenhaushygiene- und Mikrobiologieteams im Klinikum fiel auf, dass in bestimmten intensivstationären Bereichen eine Häufung von Achromobacter xylosoxidans zu verzeichnen war. Nun ist dies nicht gerade der klassische Keim, der in einem normalen Patientenklientel häufig Infektionen auslöst. Deshalb hat uns das sehr gewundert und dazu verleitet, die räumlich-zeitliche Häufung der Isolate zu typisieren. Das Ergebnis war, dass es hier zu Überschneidungen kam, was uns noch mehr gewundert hat. Diese Infektionen, beziehungsweise die Nachweise bei gleich mehreren Patienten mit solch einem Umweltkeim führten natürlich zu einer Stresssituation für alle Beteiligten.

Was haben Sie unternommen, um der Ursache der plötzlichen Häufung auf den Grund zu gehen und was war das Ergebnis?

Günther: Zunächst haben wir seitens der Krankenhaushygiene Schritt für Schritt alle möglichen Quellen ausgeschlossen und mit den behandelnden Kollegen gesprochen. Die erste Vermutung war, dass der Erreger im Zusammenhang mit der Applikation von Medikamenten oder kontaminierten Waschlösungen an die Patienten herangetragen wurde. Es gibt nämlich durchaus Beschreibungen über Achromobacter-Verunreinigungen in Körperpflegeprodukten. Doch zwischen einer oberflächlichen Hautkontamination und der Kontamination von Blutkulturen, muss es einen Schritt gegeben haben, den wir uns nicht erklären konnten.

Im Rahmen von umfangreichen Umgebungstests untersuchten wir auch Trinkwasser-assoziierte Quellen – doch auch hier war das Ergebnis negativ. Somit blieben als eine der letzten Optionen nur noch die wiederaufbereitbaren Tuchspender. Wir haben die Desinfektionsmittellösung in den Eimern mikrobiologisch beprobt – wofür man spezielle Testverfahren braucht – und konnten Achromobacter in nicht unerheblicher Keimzahl feststellen, nicht nur in der Lösung, sondern auch auf den Tüchern. So erklärte sich zumindest, wie die Keime auf allen patientennahen Flächen verteilt wurden. Das war zwar ein Teil des Puzzles, aber im gleichen Moment kamen weitere Fragen auf… Letztendlich schlussfolgerten wir, dass bei der Blutentnahme auch die Flaschensepten mit den Tüchern desinfiziert wurden – somit handelte es sich nicht um tatsächliche Blutstrominfektionen, sondern um artifizielle Kontaminationen. Das Rätsel war gelöst!

Nachdem sich die mangelhaft aufbereiteten Tuchspender als Quelle der bakteriellen Verunreinigung der Laborproben herausgestellt hatten: Welches Fazit haben Sie für die Praxis daraus gezogen?

Günther: Der Sachverhalt hat deutlich gezeigt, dass eine Kontamination des Mehrfach-Tuch-Systems nur schwer wieder zu beseitigen ist. Zwar werden Kits zur Reinigung der Eimer mitgeliefert, meist bestehend aus einem Tuch mit alkoholischem und einem mit aldehydischem Desinfektionsmittel. Doch ich bezweifele trotzdem, dass damit auch Biofilme beseitigt werden können, wie wir sie in den Eimern nachgewiesen haben. Solch ein Bakterienfilm in einer Zucker-Protein-Matrix bedarf einer erheblichen mechanischen Komponente, um ihn zu entfernen. Biofilm zu desinfizieren ist deshalb schwierig bis unmöglich. Für mich ist seitdem ganz klar: Wiederaufbereitbare Desinfektionsmitteltuchspender sind im klinischen Bereich kaum, beziehungsweise nur unter Einsatz eines hohen Aufbereitungsaufwandes auch sicher einsetzbar. Einweg-Tuchspendersysteme sind vor allem in Risikobereichen zwingend. Wie man in der Publikation1 lesen kann, trat nach der Umstellung auf Einweg-Systeme keine einzige Kontamination mehr auf, die Zahlen gingen auf null zurück.

Zudem hat sich auch der Einwand von mehr anfallendem Müll bei Einmal-Systemen durch Flowpack-Lösungen mittlerweile relativiert. Ebenso wie der Kostenfaktor: Denn der Aufwand, ein Mehrfach-System ordentlich aufzubereiten, so dass keine Probleme entstehen, ist noch viel höher. Mein Team und ich hätten damals am liebsten sofort im ganzen Uniklinikum auf Ready-to-use-Systeme mit Flowpacks umgestellt.

Ihr Fazit in der Publikation deckt sich ja mit der Empfehlung des VAH (Verbund für angewandte Hygiene e.V.) zum Einsatz von Tuchspendern in Risikobereichen. Haben Sie seit der Umstellung von wiederaufbereitbaren auf Einweg-Tuchspendersysteme in der Praxis je wieder ein solches Phänomen wie das von Ihnen publizierte beobachtet?

Günther: Nein, in diesem Ausmaß nie wieder. Ich gehe aber stark davon aus, dass überall wo Mehrweg-Tuchspendersysteme genutzt werden, solche Probleme auftreten können. Aber auch bei Einweg-Systemen muss man auf sachgemäßen Gebrauch achten. Denn tatsächlich habe ich öfter auch in anderen Kliniken beobachtet, dass beispielsweise die Deckel der Tuchspender offenstehen. So kann das Desinfektionsmittel verdunsten oder es kann zu einer Sekundärkontamination kommen. Letzteres hängt auch vom Präparat ab, da bei glucoprotaminbasierten Lösungen Resistenzen bekannt sind, wohingegen in alkoholischen Produkten die Wahrscheinlichkeit geringer ist. Deshalb lege ich bei Begehungen seitdem immer auch einen Fokus auf die Auswahl und Platzierung der verwendeten Tuchspender. Stehen dort welche? Sind sie innerhalb der Gebrauchsdauer? Ist der Deckel korrekt geschlossen?

Wie unterstützen Sie als Hygieniker eine Umstellung auf neue Produkte?

Günther: Ich halte immer Rücksprache mit den klinischen Kollegen und versuche ihnen im Rahmen von Materialkommissionssitzungen Systeme an die Hand zu geben, mit denen sie in der täglichen Praxis gut umgehen können. Ein Beispiel sind unterschiedlich große Tücher. Für die Reinigung einer Patientenliege benötigt man natürlich ein anderes Produkt als für die Reinigung einer kleinen Fläche. Das ist die Pflicht und die Schuldigkeit von Krankenhaushygiene und Materialkommission, den behandelnden Kollegen für ihren Zweck vernünftige Produkte anzubieten. Denn das schlimmste was passieren kann, ist dass aufgrund von mangelnder Praxistauglichkeit gar nicht desinfiziert wird!

Mehr Informationen zu Ready-to-use-Tuchsystemen finden Sie hier.

Weiterführende Informationen:

  1. Pseudobacteremia outbreak of biofilmforming Achromobacter xylosoxidans – environmental transmission, BMC Infectious Diseases 2016.
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