Wie kann die Compliance der Händehygiene in Krankenhäusern erhöht werden? Das ist eine der Fragen, der sich Simone Scheithauer in ihren Studien widmet. Scheithauer ist Leiterin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie an der Universitätsmedizin Göttingen. Im Interview verrät sie Gründe für eine schlechte Compliance und effektive Ansätze für eine bessere Händehygiene.
Verschiedenen Studien nach zu urteilen liegt die Händehygiene bei medizinischem Personal in der Prioritätenliste nicht immer ganz oben. Woran liegt das?
Simone Scheithauer: Dafür gibt es verschiedene Ursachen: Einer der Gründe ist mangelndes Wissen. Diesem Punkt kann man mit Schulungen begegnen. Das Wissen muss aber auch gelebt, also umgesetzt werden. Hierbei spielt die Einstellung, oder besser die „Attitude“ eine Rolle.
Ein weiterer Grund, der sowohl von Ärzten wie auch von Pflegepersonal am häufigsten genannt wird, ist mangelnde Zeit. Dies zeigt, dass medizinisches Personal Hygiene bisweilen als etwas Zusätzliches ansieht. Dabei ist die Hygiene in einer zeitgemäßen Patientenversorgung integraler Bestandteil und nicht etwas, was zusätzlich dazu kommt.
Wir konnten in einer Untersuchung1 zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Compliance gibt, und zwar so, wie man ihn vermuten würde: Je höher die Arbeitsbelastung desto niedriger die Compliance. Gute Compliance ist also nur möglich, wenn auch ausreichend Hände da sind, die desinfiziert werden können. Das rechtfertigt aber nicht zu sagen: ‚Wir haben zu wenig Personal, wir machen keine gute Hygiene.‘
Einige Häuser setzen zunehmend auf farbige Desinfektionsmittelspender * oder Spender, die bei Gebrauch Daten via WiFi an einen Computer senden. Wie schätzen Sie den Effekt solcher technischer Mittel ein?
Scheithauer: Wir müssen definitiv in verschiedene Richtungen denken, um die Compliance zu verbessern. Dazu eignen sich die farbigen Spender* – sie dienen als eine Art Eyecatcher. In einer unserer Studien konnten wir eine Verbesserung der Compliance von etwa sechs Prozent aufzeigen2. Generell stellt sich bei solchen Maßnahmen aber immer die Frage nach dem Gewöhnungseffekt. Deshalb führt eine technische Lösung alleine nicht zum Erfolg. In einer weiteren Studie haben meine Kollegen und ich WiFi-basierte Spender eingesetzt, um zu verstehen, ob diese Maßnahme die Compliance verbessert. Wir konnten zeigen, dass der Einsatz dieser „Sende-Spender“ zusammen mit einer Aufbereitung der dadurch gewonnenen Daten durch Hygienefachpersonal und wöchentlicher Diskussion wirklich zu einer Optimierung führte3.
Quelle: Scheithauer, Grafik: transQUERVerbrauch von Händedesinfektionsmittel nach verschiedenen Interventionen der Studie
Wie wurde die Einführung der WiFi-Spender und der Feedbackrunden vom Personal im patientennahen Umfeld angenommen?
Scheithauer: Wie bei allen Maßnahmen in der Krankenhaushygiene war am Anfang ein großes Ressentiment da – wer wird schon gerne bei der Arbeit beobachtet? Man bekommt ein direktes Feedback von dem was man tut oder eben auch nicht tut. So mussten auch wir am Anfang erst einmal Vertrauen aufbauen. Das erreichten wir als Hygienefachpersonal dadurch, dass wir die Daten der WiFi-Spender aufbereiteten und uns einmal die Woche mit Ärzten, Pflegern und Schwestern zusammensetzten. In diesen interprofessionellen und interdisziplinären Runden besprachen wir die Ergebnisse und arbeiteten konkrete Ziele aus. Das war sehr konstruktiv!
Welche Maßnahme halten Sie für besonders geeignet, um die Compliance zu verbessern?
Scheithauer: Prozessoptimierung, ganz klar! Wir hatten bei unseren ersten Studien zur Erfassung der Compliance der hygienischen Händedesinfektion eine interessante Beobachtung gemacht. Bei einem Verbandwechsel mussten sich die Mitarbeiter beispielsweise häufig zusätzliche Materialien aus der Schublade holen. Es ist eine einfache Rechnung: Wenn ich mir mehr notwendige Momente zur Händedesinfektion mache, dann wird irgendwann die Compliance schlechter. Wir haben daraufhin Interventionen durchgeführt, in denen wir gar nicht gesagt haben ‚Desinfiziere dir öfter die Hände‘, sondern im Vorfeld überlegt, wie man die Prozesse optimieren kann. Ziel war es, mit weniger Händedesinfektionen eine höhere Compliance zu erreichen – und das hat unglaublich gut funktioniert. Wir haben Compliance-Steigerungen von 100 bis 500 Prozent gehabt4,5,6. Wir konnten auch zeigen, dass diese Effekte nachhaltig sind. In einem Fall haben wir anderthalb Jahre später das gleiche Team angesehen und die Compliance-Verbesserung war noch da7.
Beobachten Sie einen Wandel im Bewusstsein für Händehygiene – und wie geht dieser weiter?
Scheithauer: Ich denke, dass wir einen ganz klaren Trend dahingehend haben, dass mittlerweile jeder weiß, dass hygienisches Fehlverhalten nicht akzeptabel und nicht mehr zeitgemäß ist. Das zeigt sich darin, dass wir in der Regel personell gut aufgestellte Hygiene-Teams haben, mit der Manpower, Hilfestellung zu leisten. Wir können aber nur dann eine langfristige Verbesserung erreichen, wenn wir insbesondere die Pflege mit ins Boot holen und das Ganze als interdisziplinäre Aufgabe verstehen im Sinne der Patientenversorgung – und nicht als Aufgabe oder Idee der Hygiene von außen. Zudem bin ich mir sicher, dass eine hohe Präsenz der Hygiene vor Ort es schafft, diesen Gedanken immer wieder aktuell zu halten. Das ist sicherlich ein deutlicher Trend in die richtige Richtung.
Wie gut kennen Sie sich mit der Hygiene im Patientenumfeld aus?
Expert:innen diskutieren immer wieder, welche Anwendungsmenge und welche Einwirkzeit von Händedesinfektionsmitteln für die hygienische Händedesinfektion empfehlenswert sind. Laut... weiterlesen