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OP-Material nicht vergessen: Strategien, auf die Sie zählen können

Wird OP-Material nach einer Operation im Körper des Patienten vergessen, kann dies schwerwiegende Konsequenzen für ihn und das medizinische Personal haben. Evidenzbasierte Richtlinien und eine genaue Überwachung sowie eine nahtlose und klare Kommunikation sind für die Verbesserung der Patientensicherheit unerlässlich.

Viele Patienten sind sich des Risikos nicht bewusst, dass sie das Krankenhaus nach einer Operation mit einem fremden Gegenstand im Körper verlassen könnten. Damit wären sie nicht einmal ein Einzelfall: Jährlich bleiben bei tausenden von Patienten OP-Materialien im Körper zurück. Tritt ein solcher Fehler auf, kann es zu schwerwiegenden Problemen für den Betroffenen kommen. Aber auch das medizinische Personal leidet unter den Folgen, ebenso wie das Vertrauen in Krankenhäuser und das Gesundheitssystem. Auch wenn keine genauen Daten vorliegen, belaufen sich die Schätzungen darauf, dass in ungefähr einer von 5.500 Operationen Material im Körper des Patienten vergessen wird1.

Vergessene OP-Verbandstoffe: Kleine Gegenstände mit großer Gefahr

In der Auflistung der „10 größten gesundheitstechnischen Gefahren 2019“ vom ECRI Institut sind vergessene OP-Verbandstoffe* bereits auf Platz 3 gelandet2,3. Sie sind die am häufigsten im Patienten verbleibenden Gegenstände und stellen bis zu 69 Prozent aller vergessenen OP-Materialien dar4.

Es kommt auch häufiger vor, dass OP-Abdeckungen*, Teile von Instrumenten und sogar Nadeln in Patienten zurückbleiben. Solche Objekte können mehrere Tage, Monate oder gar Jahre dort verbleiben, bis sie sich durch Entzündungen bemerkbar machen5,6. Meistens befinden sich die Gegenstände im Bauchraum.

Bei zurückgelassenen OP-Verbandstoffen* kann es zusätzlich dazu kommen, dass diese von der Operationsstelle in entferntes Körpergewebe wandern und dort Infektionen oder eine Sepsis auslösen, welche im schlimmsten Fall tödlich enden7. Während manche Fremdobjekte akute Reaktionen hervorrufen, die eine sofortige Nachoperation erfordern, kann es aber auch zu unspezifischen chronischen Symptomen wie Schmerzen oder Unwohlsein kommen, bei denen die Ursache schwer herauszufinden ist.

Um solche Vorfälle von vornherein zu vermeiden, ist eine Zählkontrolle im 4-Augenprinzip eine der bewährtesten Methoden. Vor, während und nach jedem operativen Eingriff zählt das Operations-Team beispielsweise die chirurgischen Instrumente und Verbandstoffe, um sicherzugehen, dass nichts vergessen wurde. Trotzdem kann es gerade unter der hohen Belastung im OP hin und wieder zu menschlichen Fehlern beim Zählen kommen. In 72 bis 88 Prozent der Fälle von vergessenen OP-Materialien läuft das Zählen korrekt ab. Das verdeutlicht, dass zusätzliche Präventionsmaßnahmen erforderlich sind8. Dennoch stellt sich die Frage, warum diese Art von Fehlern auch bei den erfahrensten OP-Teams auftreten kann.

Gail Horvath, MSN (Master of Science in Krankenpflege), Eingetragene Krankenschwester, CNOR (Certified Nurse Operating Room) und CRCST (Certified Registered Central Service Technician) ist Senior Patient Safety Analyst and Consultant beim ECRI Institut. Sie verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in den Bereichen Akutversorgung, chirurgische Pflege, Qualitätskontrolle, Risikobewertung und Patientensicherheit. Sie engagiert sich für die Entwicklung von Programmen zur Verbesserung der Patientensicherheit.

Ablenkung: Ein Problem mit ernsthaften Folgen

Gail Horvath kennt eine Antwort. „Eine Kombination aus menschlichen und klinischen Faktoren erhöht das Risiko, dass Gegenstände nach einer Operation im Körper vergessen werden,“ erklärt sie. „Anspruchsvolle Eingriffe und Not-Operationen, mehrere Operationen gleichzeitig oder sehr lange OP-Verfahren, unerwartete Änderungen im Ablauf oder Leistungsdruck sind Faktoren, die die Aufmerksamkeit des medizinischen Personals beeinträchtigen können.“

Vor allem bei Notoperationen, wie bei Bauchverletzungen, bei denen häufig das komplette medizinische Team an den Operationen beteiligt ist, stellt gründliches Durchzählen eine Herausforderung dar – und die Wahrscheinlichkeit für Fehler steigt9.

Um solche Fälle von vergessenem OP-Material zu minimieren, sind etablierte Richtlinien und evidenzbasierte Verfahren sowie eine lückenlose Nachverfolgung unerlässlich. So haben beispielsweise sowohl die Association of periOperative Registered Nurses (AORN) in den USA als auch die European Operating Room Nurses Association (EORNA) Empfehlungen veröffentlicht, zu welchen Zeitpunkten ein sicheres Zählverfahren durchzuführen ist10. „Wir müssen sicherstellen, dass das OP-Team die Dinge in der richtigen Reihenfolge, zur richtigen Zeit und auf die richtige Weise erledigt – dann ist auch der Patient sicher versorgt", fährt Horvath fort. Gute Teamarbeit und gute Kommunikation sind ebenfalls wichtig, besonders wenn die Eingriffe unter Druck durchgeführt werden. „Das gesamte OP-Team sollte dafür verantwortlich sein, dass alles, was nicht im Patienten sein sollte, nicht im Patienten bleibt", fügt sie hinzu. Manchmal können aber auch Probleme mit Hierarchie und Einschüchterung innerhalb des Teams, oder die nicht erfolgte Übermittlung relevanter Patienteninformationen negative Auswirkungen auf die Kontrollverfahren haben. Hier können Teambuilding-Maßnahmen dem OP-Personal helfen, diese Barrieren zu überwinden und effiziente Zusammenarbeit zu lernen.

Neue Technologien helfen Fehler zu Vermeiden

Da chirurgische Verbandstoffe das größte Problem bei vergessenem OP-Material darstellen, haben Forscher im Bereich der chirurgischen Sicherheit und Medizinproduktehersteller Maßnahmen entwickelt. Die Verwendung von röntgendichten Materialien wie Faden- und Folienbeutel, welche man mit dem Röntgengerät sehen kann, ist zum Standard geworden. Darüber hinaus könnte die Einführung von Technologien, die helfen die Verbandstoffe besser zu erkennen, wie Universalröntgenstrahlen und selektive Röntgenstrahlen für Hochrisikooperationen, oder Verbandstoffe mit Barcode, hochfrequenzmarkierte und passive hochfrequenzmarkierte Verbandstoffe dazu beitragen, die Zahl der vergessenen OP-Materialien zu reduzieren – oder zumindest vergessenes OP-Material schneller zu identifizieren. „Der Vorteil der Strichcodierung und der Hochfrequenz ist, dass sie die Erkennung von chirurgischen Verbandstoffen* vor dem Schließen der Operationswunde des Patienten ermöglichen und so das Zurückbleiben verhindern", erklärt Horvath. Die Wirksamkeit dieser neuen Technologien in der klinischen Praxis muss noch weiter evaluiert werden, damit Krankenhäuser fundierte Entscheidungen darüber treffen können, welche Technologie die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter jeweils besser erfüllt.

Gesundheitsorganisationen müssen zuverlässige, sichere und evidenzbasierte Verfahren zur Erkennung, Analyse und letztendlich Prävention von vergessenem OP-Material einführen. Hier muss auch das Personal entsprechend geschult werden. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, die Ablenkungen bei Zählverfahren möglichst zu minimieren, die Verantwortung auf das gesamte Team zu legen und die Mitarbeiter in der Praxis zu ermutigen, sich zu äußern. „Es ist das gesamte OP-Team, das für die Zählung verantwortlich ist", ergänzt Horvath. „Wir müssen sicherstellen, dass der Leistungsdruck nicht dazu führt, dass die Arbeit, wie auch der Zählprozess, darunter leiden."

Weitere Informationen

  1. Incidence and characteristics of potential and actual retained foreign object events in surgical patients., Cima RR et al., Journal of the American College of Surgeons
  2. TOP 10 Patient Safety Concerns for Healthcare Organizations, ECRI Institute
  3. 2019 Top 10 Health Technology Hazards, ECRI Institute
  4. Incidence and characteristics of potential and actual retained foreign object events in surgical patients., Cima RR et al., Journal of the American College of Surgeons
  5. Retained surgical sponges: a descriptive study of 319 occurrences and contributing factors from 2012 to 2017, Victoria M. Steelman et al., Patient Safety in Surgery
  6. Retained Surgical Foreign Bodies after Surgery., Valon A. Zejnullahu et al., Open Access Macedonian Journal of Medical Sciences
  7. Retained surgical sponges: a descriptive study of 319 occurrences and contributing factors from 2012 to 2017, Victoria M. Steelman et al., Patient Safety in Surgery
  8. Prevention of retained surgical sponges: a decision-analytic model predicting relative cost-effectiveness, Scott E. Regenbogen et al., Surgery
  9. Risk factors for retained instruments and sponges after surgery., Gawande AA et al., New England Journal of Medicine
  10. EORNA recommendations on prevention of RSI., EORNA Perioperative Nursing Care Committee

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