Prof Dr Ojan Assadian L&R Prevent and Protect

Best Practice

Infektionen bei Hüft- und Knieprothesen vermeiden: Der Erfolg der OP hängt auch von der Mitarbeit der Patienten ab

Univ.-Prof. Dr. Ojan Assadian, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH) und Ärztlicher Direktor am Landesklinikum Neunkirchen, war Mit-Autor eines Expertisen-Papiers der “Initiative Sicherheit im OP” (SIOP) zur Infektionsprophylaxe von Hüft- und Knieendoprothetik. Im Interview gibt er Einblicke in die wichtigsten Punkte des Papiers. Die aussichtsreichste Präventionsmaßnahme liegt seiner Meinung nach jedoch gar nicht in seinen Händen: Die gesunde Lebensführung jedes Einzelnen könnte viel dazu beitragen, dass es erst gar nicht zur Operation und damit zum Infektionsrisiko kommen muss.

Warum war es aus Ihrer Sicht sinnvoll, ein Expertisen-Papier zur Infektionsprophylaxe speziell für Hüft- und Knieendoprothetik zu erstellen?

Prof. Dr. Ojan Assadian: Implantationen von Hüft- und Knieprothesen gelten heute als “OP des Jahrhunderts”. Der Anteil von SSIs liegt seit etwa zehn Jahren bei etwa 0,5 – 1 Infektion pro hundert Patienten, wobei gut geplante Eingriffe in der Regel ein geringeres Infektionsrisiko aufweisen als Notfalloperationen. Doch auch ein Infektionsrisiko unter 1 Prozent ist uns dennoch nicht gut genug. Denn gerade tiefe Infektionen bedeuten für die Betroffenen gravierende Komplikationen, die über Wochen bis Monate behandelt werden müssen und vereinzelt auch zum Verlust der Extremität bis hin zum Tod führen können. Uns war es wichtig, mit dem Expertisen-Papier interdisziplinär auf die umsetzbaren Möglichkeiten der Infektionsprophylaxe zu blicken. In dem Papier sind die unterschiedlichen Aspekte aus den Bereichen Krankenhaushygiene, Infektiologie, Orthopädie, Pflege und Anästhesie betrachtet und berücksichtigt worden.

Unterscheiden sich die Hinweise aus dem Expertisen-Papier eigentlich zu denen des Robert-Koch-Instituts?

Assadian: Aus meiner Sicht gibt es da keine grundsätzlichen fachlichen Unterschiede. Wir haben nur einige Lücken geschlossen, etwa aus Sicht der Anästhesie. So weisen wir etwa darauf hin, dass gerade auch im Rahmen der endoprothetischen Versorgung mit großer Sorgfalt auf vorhandene Zentralvenenkatheter zu achten ist. Insgesamt war uns die Katheter-Thematik eine größere Betrachtung Wert, um auch darauf hinzuweisen, dass der Infektionsschutz im Bereich der Orthopädie sich nicht nur auf Endoprothesen beschränkt.

Hat sich durch die Corona-Pandemie etwas an Ihren Empfehlungen geändert?

Assadian: Nein. Wir haben aber während der Hochphase der Corona-Pandemie in Österreich in den Monaten April und Mai einen maximalen Rückstau geplanter OPs sehen müssen. Gerade viele orthopädische Patienten leiden unter Zusatzerkrankungen, die eine intensivmedizinische Versorgung in den ersten zwei bis drei Tagen nach der Operation notwendig machen können. Um keine Engpässe für die Beatmung zu haben, wurden diese Plätze bekanntlich für Patienten mit COVID-19 vorbehalten. Die Herausforderung wird nun sein, die Wartenden, die ja alle eine medizinische Indikation für einen chirurgischen Eingriff haben, wieder sicher zu versorgen. An dem grundsätzlichen Risiko für Wundinfektionen ändert dies aber natürlich nichts.

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Welche Gruppe von Patienten hat Ihrer Erfahrung nach das größte Risiko an einer SSI zu erkranken?

Assadian: Das sind die Patienten, die aufgrund von Übergewicht und einem Mangel an Bewegung und Fitness auch häufig extrem belastete Gelenke haben und einen Gelenksersatz brauchen. So wissen wir zum Beispiel, dass Patienten mit einem BMI über 40 ein hohes Infektionsrisiko haben. Zugleich erschwert ein sehr hohes Körpergewicht auch die Remobilisierung nach der OP.

Welche Hinweise geben Sie den Patienten im Vorfeld einer OP mit auf den Weg?

Assadian: Zunächst sind natürlich ausreichend Bewegung und Gewichtskontrolle die beste Prävention, um Infektionen oder Komplikationen zu vermeiden. Darüber hinaus gibt es spezielle Informationsveranstaltungen für Patienten und deren Angehörige, die ganz bewusst darauf hinweisen, dass Patienten im Vorfeld der OP keine Tätigkeiten ausüben sollten, die ein erhöhtes Infektionsrisiko in sich bergen. Da haben wir – übrigens bereits auch schon vor der Corona-Pandemie – darauf hingewiesen, Massenveranstaltungen im Herbst oder Winter etwa zu vermeiden. Aber wir informieren auch über die Bedeutung des Impfstatus und die Vorteile einer Pneumokokkenimpfung, insbesondere bei Patienten über dem 65. Lebensjahr. Außerdem erscheint es uns durchaus sinnvoll, im Vorfeld einer OP den Zahnstatus zu ermitteln und eine eventuell bestehende Parodontose als Infektionsherd einer SSI zu beseitigen.

Welche Bedeutung haben solch präoperative Maßnahmen aus Ihrer Sicht für den Erfolg der OP?

Assadian: Für mich als Hygieniker ist diese Zusammenarbeit mit den Patienten – gerade im Hinblick auf Infektionen – wesentlich und bestimmend für den Erfolg des Eingriffs. So sind wir ja auch darauf angewiesen, dass uns die Patienten am Tag der OP nicht verschweigen, wenn sie Fieber oder Brennen beim Harnlassen haben. Denn ein beginnender Harnwegsinfekt etwa birgt eine Gefahr, dass Bakterien von der Harnblase ins Blut wandern, streuen und die frisch eingesetzte Prothese besiedeln.

Reinigung und Desinfektion von prä- und postoperativen Bereichen - Grafik

Welche speziellen Maßnahmen sind während einer Hüft- oder Knieoperation besonders wichtig im Vergleich zu anderen chirurgischen Eingriffen?

Assadian: Einen Schwerpunkt bei jeder OP mit einem Implantat bildet die Luftqualität im OP-Saal. Denn wenn Mikroorganismen aus der Umgebung einen Fremdkörper besiedeln, können sie einen Biofilm und damit einen lang anhaltenden und schwierig zu sanierenden Infektionsherd bilden. Oberstes Gebot ist deshalb das erregerfreie Einbauen der Endoprothese in den menschlichen Körper. Spezielle Be- und Entlüftungsanlagen können hier helfen, geben aber allein keine Garantie für partikelfreie Luft. Sie müssen gut geplant, gebaut und auch betrieben werden. So kann auch eine nachträglich eingebaute OP-Lampe etwa zu einer problematischen Quelle für Staubpartikel werden.

Welche Ansprüche haben Sie an die Schutzkleidung?

Assadian: Dazu möchte ich zunächst sagen, dass uns gerade die Corona-Pandemie vor Augen geführt hat, wie wichtig Medizinprodukte und persönliche Schutzausrüstung für die Versorgung unserer Patienten sind. Wichtig ist, dass sie den Träger vor Körperflüssigkeiten und Blutkontaminationen schützt, also eine sichere Barriere bildet. Zusätzlich ist es bei orthopädischen Operationen wichtig, dass die sterile Kleidung keine bis möglichst wenige Fasern in die Umgebung abgibt.

Was sollte das OP-Team bei der Wundversorgung beachten?

Assadian: Leider bewegen wir uns hier in dem wenig beforschten Schnittfeld zwischen Pflegeforschung und medizinischer Forschung. Wir mussten feststellen, dass es nur wenige gut durchgeführte Studien gibt, die untersuchen, welche Wundauflagen* die Heilung am besten fördern oder mit dem Aspekt des Infektionsschutzes einhergehen. Mehr wissenschaftliche Untersuchungen wären hier wünschenswert. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass geeignete Wundauflagen vor mechanischen Belastungen und Kontamination der Wunde mit Mikroorganismen aus der Umgebung schützen und einen Gasaustausch erlauben.

Wie können die Patienten selbst zu einer guten Wundheilung beitragen?

Assadian: Auch hier sind wieder Bewegung und gesunde Ernährung wichtig, aber auch das Thema Rauchen. Wir wissen, dass Rauchen ein Risikofaktor für eine gute Wundheilung ist.

Haben Sie Tipps zur Schulung des Personals?

Assadian: Gerade in letzter Zeit haben wir viele Erfahrungen mit Online-Weiterbildungen gesammelt. Vieles lief besser als gedacht, und auch die Interaktion zwischen den Fortbildungsleitern und Teilnehmern lief sehr gut. Wesentlich war dabei immer die fachliche Kompetenz des Webhosts. Online-Weiterbildungen werden wir sicher intensivieren.

Welche Erfolgsmomente gab es bei der Infektionsprophylaxe?

Assadian: Eine wichtige Maßnahme, die sich inzwischen in ganz Mitteleuropa als Standard durchgesetzt hat, ist sicherlich das Thema Enthaarung. Wir weisen unsere Patienten darauf hin, dass sie sich nicht am Tag vor der OP an der Operationsstelle rasieren dürfen. Denn die vielen kleinen Hautschädigungen, die dabei entstehen, sind Eintrittspforte für viele Krankheitserreger. Bewährt hat sich hingegen das Clippen kurz vor der OP mit Einwegmaterial.

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell beim Thema SSI in der Endoprothetik?

Assadian: Wenn eine Wundinfektion eintritt, müssen wir eine gute mikrobiologische Diagnostik sicherstellen. Denn häufig handelt es sich dann um hochkomplexe Infektionen, die eine gute Diagnostik und eine gezielte Therapieempfehlung brauchen. Da sind uns in den letzten Jahren leider viele bakteriologische und infektiologische Kompetenzen und Zentren verloren gegangen.

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