„Den Patienten gehen die Antibiotika-Optionen aus”
Bakterien und andere Krankheitserreger entwickeln zunehmend Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel. Dr. Lauri Hicks vom CDC hat ihre Karriere... weiterlesen
Mehr als 500 Originalarbeiten, über 300 Buchbeiträge und aktuell 54 Patente – diese Zahlen stehen für den Forschungsgeist von Prof. Dr. med. Axel Kramer. Der Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Greifswald kämpft seit Jahren für eine Senkung der Infektionsraten nach Operationen. Doch wie kann das gelingen? Prof. Kramer hat konkrete Ideen.
Kramer: In den letzten Jahren hat die Prävalenz von postoperativen Wundinfektionen, oder englisch Surgical Site Infections (SSI), zugenommen. Neben Infektionen der unteren Atemwege sind SSI die häufigsten nosokomialen Infektionen, gefolgt von Harnwegsinfektionen1. Meiner Meinung nach ist das aber keine absolute, sondern eine relative Zunahme. Beispielsweise hat die Anzahl der Harnwegsinfektionen abgenommen, weil diese leichter zu verhindern sind. Die Fälle von Atemwegsinfektionen sind ebenfalls weniger multifaktoriell wie postoperative Wundinfektionen. Das ist ein Grund. Der andere Grund ist, dass heutzutage viel mehr komplizierte Eingriffe durchgeführt werden als noch 1995, als die letzte Prävalenzerhebung stattfand. Und diese korrelieren zum Teil durchaus mit einem höheren Infektionsrisiko. Außerdem haben wir zunehmend ältere Patienten, deren Immunabwehr unter Umständen eingeschränkt ist. Man sieht, diese Statistiken hängen von vielen Faktoren ab.
Kramer: Grundsätzlich kann man sagen, dass die KRINKO-Empfehlung als jüngste von 2018 natürlich keine Widersprüche zu den CDC– oder den WHO-Empfehlungen aufweist. Aber ihre Schwerpunkte sind teilweise unterschiedlich gewichtet. Ich habe tatsächlich die CDC-Guideline mit der KRINKO-Richtlinie verglichen um zu sehen, ob es vielleicht bezüglich der Evidenz, nicht bezüglich der Maßnahmen, unterschiedliche Bewertungen gibt. In der Tat zeigen sich beispielsweise bezüglich der Normothermie– Unterschiede. Diese ist in der CDC-Richtlinie mit 1A, also der höchsten Evidenzbewertungn beurteilt, in der KRINKO-Richtlinie wird nur darauf hingewiesen, dass es sehr wichtig ist.
Kramer: Eine sehr effektive Strategie ist es, die wichtigsten Maßnahmen zu bündeln und kontrolliert durchzuführen. Dabei definiert man Maßnahmen mit der höchsten Evidenz in der prä- oder intraoperativen Phase der SSI-Prävention und bündelt diese. Diese „Surgical care bundles“ sind von Fachbereich zu Fachbereich unterschiedlich. Dennoch sollte zu all diesen Bündeln idealerweise eine Checkliste erstellt werden. Wie ein Pilot, der seine Checkliste im Cockpit durchgeht, bevor er das Flugzeug startet, müssen sich auch der Operateur oder das OP-Team vor dem Eingriff fragen: Sind alle definierten Maßnahmen vorbereitet und gewährleistet?
Kramer: Ich würde sagen, sehr wichtig! Doch leider gibt es zumindest in Deutschland keinerlei Unterricht, zum Beispiel in der Schule, zur Infektionsprävention. Wir haben eine repräsentative Untersuchung mit über 500 Patienten gemacht. 93 % von ihnen wollen informiert und ein großer Teil möchte aktiv miteinbezogen werden. Denn der Patient selbst ist natürlich das beste Frühwarnsystem, wenn sich z.B. in seiner Wunde eine Infektion entwickelt. Viel wichtiger ist es aber, dass er in jeder Phase an der SSI-Prävention aktiv beteiligt ist. In der Universitätsmedizin Greifswald haben wir beispielsweise die fünf Momente der Händedesinfektion der WHO auf die fünf Momente der Händedesinfektion für den Patienten „übersetzt“ – und diese Plakate hängen in jedem Zimmer. So werden die Patienten von Anfang an auf die Übertragung von Erregern und die Relevanz der Händedesinfektion aufmerksam gemacht. Die Patienten nehmen diese Maßnahme dankbar an. In Verbindung mit der freiwilligen Evaluation der Durchführung der Händedesinfektion der MitarbeiterInnen durch die Patienten wurde der Desinfektionsmittelverbrauch um 40 % gesteigert – ohne eine spezielle edukative Maßnahme des Teams.
Kramer: In der Wundantiseptik ist die Evidenzlage weitaus schwieriger als bei der Prävention postoperativer Wundinfektionen, weil es kaum Studien gibt, in denen Wirkstoff A mit Wirkstoff B verglichen wird. Meist wird A oder B nur mit einem Plazebo verglichen. Nach umfassender Auswertung von Ergebnissen aus in-vitro-Studien und klinischen Studien sowohl bezüglich der Verträglichkeit als auch bezüglich der antiseptischen Wirksamkeit war es jedoch möglich, diese zu einer plausiblen Synopse zusammenzuführen, deren Ergebnis praxisbezogene Empfehlungen in Form des interdisziplinären und interprofessionellen Expertenkonsensus sind. Denn es läuft im Grunde genommen auf wenige geeignete Wirkstoffe hinaus.
Grundsätzlich müssen Antibiotika wegen des Risikos der Resistenzentwicklung für die systemische Anwendung reserviert werden; stattdessen muss die Ausschöpfung der Möglichkeiten der Antiseptik in Überlegungen zum „Antiseptic Stewardship" einbezogen werden. Bei antiseptischen Wirkstoffen mit globalem mikrobioziden Wirkungsmechanismus wie Hypochlorit, Polihexanid und Octenidin ist eine Resistenzentwicklung bisher nicht bekannt und nicht anzunehmen. Wenn eine remanente antiseptische Wirkung benötigt wird, ist insbesondere auf empfindlichen Wunden Polihexanid Wirkstoff der Wahl. Steht die kurzfristige antiseptische Reinigung im Vordergrund, ist Hypochlorit geeignet bzw. bei möglicher Exposition von neurogenen Strukturen und Peritoneum die einzige Alternative. In antiseptischen Wundauflagen*, ist bei der chronischen Wunde Polihexanid Wirkstoff der ersten Wahl. Es ist generell ein wichtiger Ansatz, immer zu überprüfen, wo Antibiotika entbehrlich sind und wo man gleiche oder sogar noch bessere Ergebnisse mit Antiseptika erreichen kann (Passend zu dem Thema: "Zurück zu den Wurzeln – Antiseptika vs. Antibiotika). Das meine ich mit dem Begriff „Antiseptic Stewardship“. Ein Beispiel ist die Wundspülung, die man zum Teil noch mit Antibiotika gemacht hat. Ein weiteres Beispiel ist die Dekolonisation der Nase bei MRSA, die zunehmend mit Antiseptika und nicht mehr mit Lokalantibiotika durchgeführt wird. Trotzdem müssen unbedingt Studien gemacht werden, um diese neuen Gedanken des „Antiseptic Stewardship“ in die Praxis umzusetzen. Die Zeit ist überreif dazu. Aber das kann nur gemeinsam mit den verschiedenen klinischen Fachdisziplinen passieren.
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